Mangelernährung kommt besonders häufig im Alter vor. Gibt es zwischen der Tatsache, dass viele alte Menschen einsam sind und der Malnutrition einen Zusammenhang?
Dr. Thomas Moser: Da gibt es einen Zusammenhang. Das Älterwerden stellt so einige Herausforderungen an die Menschen. Im Hinblick auf die Ernährung braucht es eine ausgewogene und vielseitige Ernährung. Diese kann auswärts im Restaurant und in der Kantine oder aber zu Hause in der eigenen Küche zubereitet werden. Und da Essen immer auch ein sozialer Akt ist, macht es die Einsamkeit im Alter schwieriger, sich ausgewogen zu ernähren: Man ist weniger motiviert zu kochen und es fehlen Menschen, mit denen das Essen geteilt werden kann. Meistens stellt auch die logistische Aufgabe hinter der ausgewogenen Ernährung eine Herausforderung dar: Man muss Einkaufslisten erstellen, einkaufen gehen und Taschen schleppen. Dieses ganze Zusammenspiel von sozialen, körperlichen und kognitiven Fähigkeiten ist im Alter nicht mehr immer so gut gewährleistet wie in jüngeren Jahren. Die Einsamkeit kann diese Fähigkeiten zusätzlich schwächen.
Auch wenn das Gewicht normal ist, kann man mangelernährt sein. Woran erkennt man dann eine Malnutrition?
Das Gewicht selber ist ein schlechter Indikator für die Mangelernährung, sondern hängt massgeblich von der aufgenommenen Menge an Kalorien ab. Die Mangelernährung, die sich auf eine zu geringe Kalorienaufnahme bezieht, trifft man in westlichen Ländern kaum an. Nebst den Kalorien kann es im Hinblick auf die Ernährung aber zu vielen anderen Mängeln kommen. Meistens sind es Spurenelemente und Vitamine, die wir zu wenig zu uns nehmen. Zu den häufigsten Mangelzuständen zählt der Eisenmangel, der Vitamin B12 und Vitamin D Mangel. Nicht alle diese Mangelzustände werden von den Menschen bemerkt. Einige von Ihnen können jedoch klassische Symptome verursachen, wie zum Beispiel der Eisenmangel, der mit der Blutarmut, Haarausfall oder offenen Mundwinkeln (sog. Rhagaden) sehr spezifische Beschwerden machen kann. Insgesamt sollte auch bei unspezifischen Krankheitssymptomen, wie eine zunehmende Müdigkeit und Abgeschlagenheit oder vermehrte Kopfschmerzen an eine Mangelernährung gedacht werden. Oft können Mangelzustände mit einfachen Blutuntersuchungen entdeckt werden.
Was kann passieren, wenn ältere Menschen über längere Zeit mangelernährt sind?
Die Mangelernährung bei älteren Menschen äussert sich oft im Muskelschwund. Dieser beginnt bereits ab dem 30. Lebensjahr und der Fachbegriff dafür ist die Sarkopenie. Diese schreitet vermutlich vermehrt voran, wenn die Aufnahme von Proteinen zu gering ist. Bei älteren Frauen stellt auch der Knochenschwund, die sogenannte Osteoporose ein häufiges Problem dar. Dort ist entscheidend, dass man genügend Calcium und Vitamin D zu sich nimmt. Die Manifestationen vom Muskelschwund und Knochenschwund sind am Ende vielseitiger Natur. Meistens nimmt die Gangsicherheit ab und es kann vermehrt zu Stürzen und Verletzungen kommen, wobei nebst der Ernährung viele andere Faktoren eine wichtige Rolle spielen.
Welche Massnahmen gibt es, um der Mangelernährung im Alter entgegenzuwirken?
Mit Sicherheit hilft ein funktionierendes soziales Umfeld, das bemerkt, wenn die Menge und die Qualität der Nahrung, die eine Person zu sich nimmt, abnimmt. So konsultieren uns in der Hausarztpraxis häufig die Angehörigen und sind besorgt, weil jemand weniger isst. Um Mangelzustände frühzeitig zu erkennen, hilft ab einem gewissen Alter der regelmässige Arztbesuch, damit gewisse Blutwerte bestimmt werden können. Wenn das Problem erkannt ist, können spezifische Massnahmen ergriffen werden: Dazu gehören einerseits Präparate, die einen festgestellten Mangel beheben (u.a. Vi-De Tropfen, Calcium, Magnesium, etc.), unterstützende Massnahmen wie die Spitex oder ein Mahlzeitendienst, sowie frühzeitige Schulung der richtigen Ernährung, wo eine Ernährungsberatung hilfreich sein kann. Im hohen Alter kommen teilweise auch hochkalorische und mit Proteinen angereicherte Drinks zum Einsatz. Ziel ist es, dass ältere Menschen sich abwechslungsreich und vielfältig ernähren, damit sie ihre kognitiven und körperlichen Fähigkeiten stärken und erhalten können.
Zur Person
Dr. med. Thomas Moser ist Hausarzt in der «Praxis Friesenberg», unter anderem mit Ausbildung in der Geriatrie.