Achten heutzutage die Paare mehr auf eine gesunde Schwangerschaftsvorsorge als früher?
Anina Giacometti: Der Gesundheitsstatus vor der Schwangerschaft ist ein Thema, das erst in den letzten Jahren in den Vordergrund geraten ist. 2010 veröffentlichte die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe einen Expertenbrief mit Empfehlungen zur «Präkonzeptionsberatung». 2013 hielt auch die Weltgesundheitsorganisation die Wichtigkeit der Förderung von Schwangerschaftsvorsorge mit Forschungs- und Interventionszielen fest. So könnte man annehmen, dass die Wichtigkeit der Gesundheit vor der Schwangerschaft bei Gesundheitspersonal und Forschenden präsenter ist als zuvor. Ob dies zur Folge hat, dass heutzutage Paare mehr auf eine gesunde Schwangerschaftsvorsorge achten als früher, können wir so mit dem aktuellen Kenntnisstand nicht beantworten. Wünschenswert wäre es auf jeden Fall, da der Gesundheitsstatus von Eltern bereits vor dem Schwangerwerden eine wichtige Rolle für den Verlauf der Schwangerschaft und die Gesundheit des Kindes spielt.
Zu einer gesunden Schwangerschaftsvorsorge gehört auch die Einnahme von Folsäure. Verunsichert es nicht eher, wenn man als schwangere Frau liest, dass man eigentlich schon vier Wochen vor der Schwangerschaft mit der Einnahme hätte beginnen sollen?
Tatsächlich ist der ideale Startzeitpunkt der Folsäureeinnahme bereits vor der Schwangerschaft. Dies ist nicht ohne Grund so: Ein Folatmangel geht unter anderem mit einem erhöhten Risiko für Geburtsfehler sowie Frühgeburten einher. An der ETH Zürich wurde von 2015–2016 eine Studie zum Folatstatus von Frauen im gebärfähigen Alter sowie von schwangeren Frauen in der Schweiz durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass die Frauen in dieser Studie eine unzureichende Folatversorgung aufweisen. Da es laut der Schweizer Stiftung Folsäure, fast unmöglich ist, den erhöhten Folsäure-Bedarf vor und während der Schwangerschaft allein durch die Ernährung zu decken, scheint es umso wichtiger, das Bewusstsein für eine frühzeitig Einnahme zu erhöhen. Deshalb sind die Förderung und Verbreitung des Wissens um mögliche Vorteile und Konsequenzen bezüglich Folsäure-Einnahme aus den oben erwähnten Gründen wichtig.
In der Schwangerschaft nehmen die Frauen unterschiedlich an Gewicht zu. Unterscheiden sich die Anzahl an Kilos, die eine Frau während einer Schwangerschaft maximal zunehmen sollte, zu früher?
Die erste Empfehlung des Instute of Medicine zur Gewichtszunahme in der Schwangerschaft erschien 1970, wobei eine grundsätzliche Empfehlung von 9 bis 12.25 Kilogramm festgelegt wurde. 20 Jahre später erfolgte dann eine Anpassung, wobei diese nach dem Body-Mass-Index (BMI) eingeteilt wurden.
Die aktuellen Empfehlungen vom Schweizer Bundesamt für Gesundheit richten sich am Ausgangsgewicht der Frau. Dabei beträgt für normalgewichtige Frauen (BMI = 18.5 – 24.9) die empfohlene Gewichtszunahme zwischen 11.5 und 16 Kilogramm. Die empfohlene Gewichtszunahme für Untergewichtige (BMI = < 18.5) ist dabei etwas höher und für Frauen mit Übergewicht (BMI = 25 – 29.9) oder Adipositas (BMI = ≥ 30) etwas niedriger.
Der grösste Unterschied zu den Empfehlungen von früher liegt demnach in der BMI-Orientierung bezüglich Gewichtszunahme während einer Schwangerschaft. Man könnte also sagen, dass es sich nicht mehr um eine «one-fits-all» Empfehlung handelt.
Zur Studie
Anina Giacometti und Dr. Rita Amiel Castro sind Teil des schweizerischen Studien-Teams der Universität Zürich «Kinderwunsch — ja, nein vielleicht?». In dieser Studie werden psychologische, biomedizinische, verhaltensbezogene und soziale Risikofaktoren für die Gesundheit von Frauen und Männern in Bezug auf Schwangerschaftsablauf und –ausgang erhoben. Es werden Fragen zu Ihrem Verhalten, Ihrer Einstellung und Ihren Überzeugungen rund ums Thema Gesundheit, Reproduktion und Schwangerschaftsvorsorge gestellt.