Ist der Glukosespiegel tatsächlich der Schlüssel zu einer ausgewogenen, gesunden Ernährung?
Ruth Ellenberger: Ja, wir arbeiten schon seit Jahren mit Methoden, die darauf ausgerichtet sind. Die wohl wichtigste basiert auf dem Modell «Healthy Eating Plate» der Harvard-Universität und wurde für die Prävention von Diabetes und zur Gewichtsreduktion adaptiert. Darin geht es um ein ausgewogenes Verhältnis von Kohlenhydraten, Eiweiss und Gemüse.
Glukose ist für den Körper essenziell – weshalb?
Das Gehirn braucht diesen Traubenzucker zwingend, es akzeptiert keinen anderen Nährstoff. Deshalb legt der Körper auch Depots in Muskeln und Leber an, sogenannte Glykogenspeicher. Sind diese leer, wird in der Leber eingespeichertes Fett umgebaut. Andere Körperzellen sind etwas anspruchsloser, sie begnügen sich auch mit einfachen Fettsäuren.
Was bewirkt das ständige Auf und Ab des Blutzuckerspiegels?
Nebst vielen körperlichen Krankheiten führt es zu einer Störung des Hunger-Sättigungs-Mechanismus; eine wichtige Körperfunktion, die grossen Einfluss auf unsere physische und psychische Gesundheit hat. Gerade Kinder und Jugendliche sollten wir davor schützen.
Autorin Jessie Inchauspé verkauft entsprechende Erkenntnisse als neu: zu Unrecht?
Nein. Jessie Inchauspé machte sich die Mühe, den komplizierten Prozess um den Glukosehaushalt gut nachvollziehbar zu erklären und mit vielen praktischen Beispielen zu illustrieren. Seriöse Wissenschaftlerinnen sind Gold wert, die praxisbezogene Aufklärungsarbeit leisten.
Ein niedriger Blutzuckerspiegel führt zu Heisshunger: Wie das?
Der Körper reagiert darauf mit appetitanregenden Signalen. Er produziert beispielsweise mehr Speichel, was Schluckreflexe auslöst. Das wiederum animiert den Magen zu Kontraktionen, zu Magenknurren, da im Speichel die Nährstoffe fehlen. Letztendlich führt dieser Prozess zu Süsshunger. Wir bekommen Lust auf Backwaren und Süssigkeiten, um möglichst rasch die Zuckerversorgung des Gehirns sicherzustellen. Erst wenn wir einige Minuten zuwarten – individuell bis 20 Minuten –, werden die Depots für die Versorgung mobilisiert. In der Folge schwindet der Appetit. Halten wir den Spiegel also konstant, verschwinden unter anderem die Heisshungerattacken – was bedeutet, dass wir mehr Fett verbrennen.
Lässt sich mit einem stabilen Blutzuckerspiegel darum auch eine Gewichtsabnahme bewirken?
Ja. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass wir die Ernährung anpassen. Eine Gewichtsreduktion lässt sich nur dann erreichen, wenn der Energieverbrauch höher ist als die Zufuhr.