Vit­amine: Wann man Nah­rungs­er­gän­zungs­mittel nehmen sollte

Sie helfen, werden aber auch oft überschätzt: Nahrungsergänzungsmittel. Was sie bewirken, erklärt Expertin Ruth Ellenberger im Interview mit Marco Hirt von der Zeitlupe.
Sie helfen, werden aber auch oft über­schätzt: Nah­rungs­er­gän­zungs­mittel. Was sie be­wirken, er­klärt Ex­pertin Ruth El­len­berger im In­terview mit Marco Hirt von der Zeitlupe. 

Fast jeder Dritte tut es: 30 Prozent der Schwei­ze­rinnen und Schweizer greifen zu min­de­stens einem Nah­rungs­er­gän­zungs­mittel. Am meisten werden Vit­amine und Mi­ne­ral­stoffe ein­ge­nommen, wie eine re­prä­sen­tative Um­frage des Bundes Anfang 2024 zeigte. Viele er­hoffen sich eine prä­ventive Wirkung. Was aber zu be­denken ist: Nah­rungs­er­gän­zungs­mittel sind keine Heil­mittel. Und oftmals wäre es besser, nicht einfach so zu Prä­pa­raten zu greifen, wie Ruth El­len­berger, dipl. Er­näh­rungs­be­ra­terin (HF/SVDE) vom Er­näh­rungs­zentrum Zürich, empfiehlt.

Was darf von Nah­rungs­er­gän­zungs­mitteln er­wartet werden?
Ruth El­len­berger: Viele Men­schen haben das Gefühl, sie könnten ein ge­sund­heit­liches Fehl­ver­halten be­züglich Er­nährung und Le­bensstil kom­pen­sieren. Sie essen zum Bei­spiel nicht aus­ge­wogen, schlafen zu wenig, sind ge­stresst und haben deshalb häufig auch noch Ver­dau­ungs­pro­bleme. Aber statt etwas zu ändern, ist es zum Bei­spiel ein­facher, Anti-Stress-Kapseln einzunehmen.

Das be­deutet also auch, dass Vit­amin­prä­parate kein idealer Ersatz sind für Früchte und Gemüse?
Eine Ta­blette kann einen Apfel mit seinen Nah­rungs­fasern, Mi­kro­nähr­stoffen und po­si­tiver Wirkung auf die Ver­dauung kei­neswegs ersetzen.

Schadet es gar, wenn man zu viele Pillen ein­nimmt, die Ver­bes­serung ver­sprechen?
Der über­mässige Ge­brauch kann zum einen nicht den ge­wünschten Effekt haben und zum an­deren auch zu Ne­ben­wir­kungen führen. Ich gebe Ihnen ein Bei­spiel: Fluorid ist wichtig für die Zähne – ein Mangel führt zu einer Schwä­chung des Zahn­schmelzes, eine Über­do­sierung ebenso zu einer Störung. Oder ich er­innere mich an Cur­cumin, den Wirkstoff aus der Kurkuma-Wurzel: Diesem wurde u. a. eine Krebs-Pro­phylaxe zu­ge­schrieben, was einige ver­an­lasst hat, solche Prä­parate löffel­weise zu sich zu nehmen. Die Folge waren schwere Le­ber­schäden.

Wo ist auch Vor­sicht ge­boten?
Bei Rau­chern ist Beta-Ca­rotin ge­fährlich, da­durch kann sich das Krebs­risiko sogar er­höhen. Oder Vitamin K und Blut­ver­dünner ver­tragen sich nicht, da steigt die Blu­tungs­gefahr er­heblich. Nicht gut ist auch die Ein­nahme von Kalzium-Prä­pa­raten bei einer Neigung zu Nierensteinen.

Sie haben die ver­meint­liche Krebs-Pro­phylaxe an­ge­sprochen: Krank­heiten vor­zu­beugen ist mit Nah­rungs­er­gän­zungs­mitteln gar nicht möglich?
Nein, denn es gibt keinen Nachweis dafür. Aber die Angst vor Krebs, Demenz oder Mo­bi­li­täts­verlust hat einen starken Einfluss darauf, dass es viele dennoch tun.

Hin­sichtlich der be­vor­ste­henden Win­ter­monate ist es aber sicher ratsam, sich mit Multi-Vitamin-Prä­pa­raten gegen Er­käl­tungen oder eine Grippe zu wappnen?
Nein. Prä­vention ist wie ein Lang­zeit­projekt, in dem der Körper und sein Im­mun­system gesund ge­halten werden. Das heisst: Viel mehr als ein Prä­parat be­wirken re­gel­mässige Be­wegung an der fri­schen Luft, ab­wechs­lungs­reiche Er­nährung und ge­nü­gendes Trinken gegen trockene Schleim­häute sowie Stress­mi­ni­mierung. Jedoch kann ein Prä­parat nach einer Grippe un­ter­stützend fürs ge­schwächte Im­mun­system sein.

Wann aber kommen Nah­rungs­er­gän­zungs­mittel mit Vorteil zum Einsatz?
Um tem­poräre oder auch dau­er­hafte Defizite aus­zu­gleichen, zum Bei­spiel bei Krank­heiten wie Rheuma oder Osteo­porose. Aber ebenso nach Ope­ra­tionen, nach In­fekten oder nach Zahn- und Kie­fer­be­hand­lungen. Ein er­höhter Bedarf an be­stimmten Mi­kro­nähr­stoffen be­steht eben­falls in der Schwan­ger­schaft und Stillzeit wie auch während des Wachs­tums­schubs bei Kindern und Ju­gend­lichen.

Was in all diesen Fällen in Ab­sprache mit einer ärzt­lichen Fach­person er­folgt, nicht?
Richtig. Be­sonders sollte auch bei be­stimmten Me­di­ka­menten auf ein mög­liches Defizit ge­achtet werden. Bei dau­er­hafter Ein­nahme von Säu­re­blockern zum Bei­spiel kann ein Vitamin-B12-Mangel ent­stehen, ebenso beim Anti-Dia­be­tikum Metformin.

Worauf müssen die­je­nigen achten, die sich ve­ge­ta­risch oder vegan er­nähren?
Ve­ge­tarier, die eine ab­wechs­lungs­reiche Er­nährung pflegen, le­diglich auf Eisen. Ve­ganer hin­gegen sollten auf ge­nügend B12, Kalzium, Vitamin D, Eisen, Omega‑3, Jod, Zink und Selen schauen.

Haben ältere Men­schen einen Mehr­bedarf?
Grund­sätzlich nicht. Es kann aber sein, dass sie auf­grund von Ein­samkeit oder Armut man­gelhaft essen, was zu ändern wäre. Als sinnvoll er­achte ich die Ein­nahme von Vitamin D das ganze Jahr über, wer auf­grund von Im­mo­bi­lität nicht oft draussen ist. Ge­nerell emp­fehle ich Vitamin D für die Win­ter­monate, aber auch Omega‑3, wenn auf dem Er­näh­rungsplan kaum Fisch steht.

Was könnte auf einen Nähr­stoff­mangel hin­weisen und sollte ge­checkt werden?
Wenn man sich grundlos über längere Zeit müde, ab­ge­schlagen und krafztlos fühlt. Oder über einen län­geren Zeitraum «un­ge­wohn­ter­weise» friert. Oder wenn man immer wieder Durchfall hat be­zie­hungs­weise chro­nisch ver­stopft ist.

Welche Art von Pa­ti­enten und Pa­ti­en­tinnen sucht Ihre Be­ratung auf?
Zum einen solche, die auf­grund von schweren Er­kran­kungen dau­erhaft auf eine ge­zielte und er­gän­zende Ver­sorgung von Nähr­stoffen an­ge­wiesen sind. Zum an­deren zu­nehmend ge­sunde Per­sonen mit grossen Ängsten vor Krank­heiten, aber auch dem Äl­ter­werden. In beiden Fällen er­folgt eine um­fas­sende Auf­zeichnung des Zu­stands und die schritt­weise Um­setzung von Ver­bes­se­rungs­mass­nahmen. Der vor­über­ge­hende Einsatz von Nah­rungs­er­gän­zungs­mitteln kann durchaus ein Hilfs­mittel sein.

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Lesen Sie hier das ganze In­terview mit Ruth El­len­berger «Der (zu) schnelle Griff zu den Prä­pa­raten» von Marco Hirth:

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Ruth Ellenberger

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