Ge­sunde Er­nährung trotz Sozialhilfe

Food donations on wooden background, top view
Die Schü­lerin Lena Salzmann hat sich bei ihrer Ma­tu­ri­täts­arbeit der Frage ge­stellt: «Wie kann sich ein So­zi­al­hil­fe­emp­fänger gesund er­nähren?» Ruth El­len­berger vom Er­näh­rungs­zentrum er­klärt im In­terview, wie ge­sunde und gün­stige Er­nährung aus­sehen kann. 

Lesen Sie hier das In­terview mit Ruth El­len­berger aus der Ma­tu­ri­täts­arbeit von Lena Salzmann:

Lena Salzmann: Was ist für Sie ge­sunde Ernährung?
Ruth El­len­berger:
So ganz all­gemein: Man nimmt etwa 25 Prozent Ei­weiss und etwa 45 bis 50 Prozent Koh­len­hy­drate. Der Rest sollte Gemüse und Früchte sein.

Was ist für Sie eine viel­seitige Ernährung?
Das ist, wenn man bei den Koh­len­hy­drat­lie­fe­ranten ab­wechselt. So hat man au­to­ma­tisch noch ver­schie­denes Ei­weiss. Wenn man mit den Ge­trei­de­pro­dukten ab­wechselt, mal Kar­toffeln nimmt oder auch mal Hülsenfrüchte isst, so haben Sie eben­falls Eiweisslieferanten.

Dann beim Ei­weiss gehören für mich auch Milch­pro­dukte dazu, diese unterstützen den ge­sunden Kno­chenbau und Kno­chen­wachstum. Auf jeden Fall Eier sind gute Pro­te­in­lie­fe­ranten. Fleisch benötigt es mehr oder we­niger, ebenso wie Fisch. Da soll auch der ökologische Aspekt berücksichtigt werden.

Früchte und Gemüse sollen möglichst sai­sonal und inländisch sein.

Wie viele Mahl­zeiten am Tag sind emp­feh­lenswert?
Das ist nicht mehr so sa­kro­sankt, aber ich bin eine Ver­fech­terin für drei Mahl­zeiten täglich als mehrere. 

Gibt es eine Mahlzeit, welche wich­tiger ist als die an­deren?
Das ist in­di­vi­duell ver­schieden. Es gibt Leute, die sich einfach nicht kon­zen­trieren können, wenn sie nicht frühstücken. Für diese Leute ist das Frühstück am wichtigsten.

Dann finde ich der so­ziale Aspekt auch wichtig. Also wenn eine Fa­milie abends sich zu­sam­men­setzt und ge­meinsam zu Abend isst, dann ist für die Fa­milie das be­stimmt die wich­tigste Mahlzeit. Ich denke, die Mit­tags­mahlzeit hat an Be­deutung ver­loren. Man isst nicht mehr ge­meinsam als Fa­milie. Die Mit­tagszeit wird immer kürzer, auch in den Schulen.

Wo be­ginnt eine un­ge­sunde Ernährung?
Span­nende Frage. Also ich denke bei stark ver­ar­bei­teten Nah­rungs­mittel wie Weissbrot, Toast, Wurst­waren, alle stark ver­ar­bei­teten Dinge, Kon­ser­ven­waren. Wenn man wenige frische Pro­dukte isst und wenig Voll­korn­pro­dukte. Und natürlich, wenn man sich ein­seitig ernährt.

Welche Art von Le­bens­mitteln ist am we­nigsten nährstoffreich?
Am we­nigsten wertvoll ist für mich Zucker. Es sind leere Ka­lorien. Es ist jedoch schwierig eine Art von Le­bens­mittel iso­liert zu betrachten.

Bei welchen Pro­dukten ist es wichtig auf die Qualität zu achten?
Ich denke vor allem bei den Ge­trei­de­pro­dukten, da diese einen grossen Anteil aus­machen. Es spielt eine Rolle, ob man weisser Reis, Weiss­mehl­pro­dukte oder ob man Voll­korn­pro­dukte oder Hülsenfrüchte isst. Bei den stark ver­ar­bei­teten Pro­dukten gehen bei der Ver­ar­beitung wichtige und ge­sunde Nährstoffe und Nah­rungs­fasern ver­loren. Diese sind in den Voll­korn­pro­dukten in grösseren Mengen enthalten.

Was sind die häufigsten Folgen einer günstigen Ernährung? Gibt es diese überhaupt?
Ja, leider ist es häufig auch Übergewicht. Häufig gibt es auch eine Mangelernährung. Zuerst sieht man es an den Schleimhäuten und der Haut. Die Leute haben oft ein­ge­rissene Mund­winkel, tränende Augen, schuppige Haut, nicht schöne Haare, man ist oft müde. Die Ernährung ist oft ein­seitig, da sie ein Regime haben und sich sicher sind, diesem zu folgen. Sie wissen, dass sie zum Bei­spiel immer fünf Franken zur Verfügung haben, dann wissen sie, wie man mit diesem kleinen Budget satt wird und be­folgen das Regime ständig, auch wenn es nicht gesund ist. Diese Leute haben auch keine Kraft, lange nach guten Ess­waren Aus­schau zu halten und alles zu­sam­men­zu­suchen. Es sind ganz viele Aspekte. Es gibt Mütter, die ar­beiten müssen und die Kinder sind al­leine zu Hause. Die haben keine Zeit noch lange nach guten Pro­dukten und Ak­tionen zu suchen. Das sind Wunsch­vor­stel­lungen und ist nicht die Realität.

Was sind die häufigsten Folgen einer schlechten be­zie­hungs­weise nicht nährstoffreichen Ernährung?
Bei Kindern sieht man Wachstums- und Entwicklungsstörungen. Das Längenwachstum ist ge­ringer. Schlechte Zähne sind eine Folge, was wie­derum kost­spielig ist, diese zu reparieren.

Konzentrationsstörungen treten auf, was wie­derum be­dingt, dass man nicht viel in der Schule mit­kriegt. Armut ist ein to­taler Stress. Ich könnte Ihnen eine Kette von Dingen aufzählen, die sich viele gar nicht be­wusst sind. Es gibt Magen-Darm-Störungen. Der Darm ist das wich­tigste Organ für die Bildung des Im­mun­sy­stems im Kin­des­alter. Ist die Ernährung sehr ein­seitig, wenn Nah­rungs­fasern fehlen, Wirk­stoffe oder Vit­amine fehlen, so ist das Im­mun­system nicht richtig aus­ge­bildet und die Kinder werden häufiger krank und können somit am so­zialen Leben nicht teil­haben. Ich könnte Ihnen eine Stunde lang Folgen aufzählen.

Ist ge­sunde Ernährung überhaupt vom Budget abhängig?
Ja, leider. Man will es nicht wahr­haben. Ein gutes ge­sundes Voll­kornbrot ist teurer als ein Weissbrot. Wurst­waren sind günstiger als ma­geres Fleisch. Man kann sich gesund ernähren, wenn man ein kleines Budget zur Verfügung hat. Dies ist jedoch besser auf dem Land möglich. Da kann man beim Bauern ein­kaufen. In der Stadt muss alles mit­ein­ander ver­glichen werden.

Be­raten Sie die Leute mit tie­ferem Budget anders, als die Nor­mal­ver­die­nenden?
Ja, das muss man. Die Leute kommen zu uns über eine Ver­ordnung der Ärzte. Wir machen eine Ernährungsanamnese. Wir fragen die Leute möglichst genau, was sie essen. Ich hoffe immer sehr, dass dies möglichst ehrlich ausfällt. So kann die Be­ratung den ge­nauen Lebensumständen der Person an­ge­passt werden.

Welche Tipps geben Sie den Leuten mit klei­nerem Budget? Emp­fehlen Sie den Leuten auch auf Fleisch und Fisch zu ver­zichten, da diese eher teuer sind?
Es ist sehr gut möglich, sich gesund zu ernähren mit Milch­pro­dukten ebenso wie mit Eiern. Dann würde ich auch emp­fehlen, mehr Ge­treide mit wert­vollen Pro­teinen wie Hülsenfrüchte zu kon­su­mieren. Mit Hülsenfrüchten kann man super Re­zepte kochen, die auch nicht teuer sind. Beim Gemüse hat Coop und Migros ver­mehrt, so­ge­nanntes «unique» Gemüse ver­kauft. Da soll die Be­ratung nach­fragen, ob solche Früchte und Gemüse im Laden des Pa­ti­enten erhältlich sind. So muss die be­ratene Person nicht selbständig nach­fragen und sich bloss­ge­stellt fühlen.

Tief­ge­fro­renes Gemüse ist oft günstiger als Fri­sches. Ist dies emp­feh­lenswert?
Es ist nicht immer günstiger, aber es ist sehr emp­feh­lenswert. Häufig ist es sogar gesünder. Die Pro­dukte mussten nicht im Laden ge­lagert werden, und wurden mei­stens direkt nach Ernte schock­ge­froren. So haben die Pro­dukte häufig mehr Vit­amine und Mi­ne­ral­stoffe, als Fri­sches. Wenn man es direkt zum Ver­wenden ein­kauft, macht es Sinn. Man soll bei tief­ge­fro­renen Pro­dukten achten, dass diese inländisch sind. Bei Bohnen ist dies oft der Fall.

Was emp­fehlen Sie den Leuten zum Essen, welche nicht gerne kochen?
Da bin ich auf­ge­schmissen und gna­denlos. Essen ist le­bens­not­wendig und wenn Leute meinen, dass sie sich nicht mit ihrer Nahrung aus­ein­an­der­setzen wollen, so finde ich dies recht ignorant. Ich finde, man muss sich zwingend in­ter­es­sieren. Man kann ja zum Bei­spiel nicht sagen, man gehe nicht schlafen, das ist ebenso wichtig. Oder wenn jemand meint, ich dusche nicht und be­treibe keine Körperhygiene, das ist auch wichtig für einen Körper. So muss ich sagen, die Leute kümmern sich nicht um sich selbst.

Also ver­suchen Sie diese Leute an­zu­spornen?
Ich sage, es gehöre zu ihrer Pflicht. Sobald jemand Kinder hat, so achten die Leute au­to­ma­tisch mehr auf die Ernährung.

Welche Läden sind preismässig und ge­sund­heitlich emp­feh­lenswert?
Ja Migros und Coop haben mit ihren günstigen Ei­gen­marken Prix Ga­rantie und M‑Budget, gerade im Ge­frierfach inländisches Gemüse und Früchte. Diese sind zwar nicht von erster Qualität, aber sonst ein­wandfrei. Sie sind halt auch nicht so gut ver­packt, aber das spielt keine Rolle.

Denken Sie, dass es möglich ist, sich gesund und viel­seitig als Sozialhilfeempfänger zu ernähren?
Ja, das ist möglich, einfach mit grösserem Aufwand. Man kann nicht denken, dass man in den nächsten Laden spa­zieren kann. Diese Leute müssen eine Ein­kaufs­liste machen, aber es ist möglich.

Denken Sie, es macht mehr Sinn täglich ein­zu­kaufen oder einen Gross­einkauf zu tätigen?
Einen Gross­einkauf: So kann man planen und die Reste ver­ar­beiten. Bei täglichen Einkäufen hat man we­niger ge­plant und gibt oft mehr Geld aus.

Bei täglichen Einkäufen können jedoch die Ak­tionen ausgenützt werden.

Wenn jemand al­leine oder zu zweit ist, funk­tio­niert das gut. Ich habe an die Si­tuation mit Kindern ge­dacht. Da muss man oft Essen mit­geben, für Mit­tags­ver­pflegung. Aber es stimmt, wenn jemand al­leine ist, ist das eine super Sache. Man kann hoch­wertige Pro­dukte er­langen. Mit Kindern ist es schwie­riger und benötigt viel Zeit.

Das war es von meiner Seite. Haben Sie viel­leicht noch etwas anzufügen, was ich ver­gessen habe und Sie erwähnenswert finden?
Was einfach wirklich wichtig ist und wo man Geld ein­sparen kann, ist die Re­ste­ver­wertung. So kann man Pro­dukte ver­werten, für die man nur einmal Geld aus­ge­geben hat, aber mehrmals davon satt wird.

Ebenso, wenn man zum Bei­spiel bei einer grösseren Menge Hack­fleisch eine Sauce ge­kocht wird, die ein­ge­froren werden kann.

Sonst finde ich, hast du alles gut abgedeckt.

Lesen Sie hier die kom­plette Ma­tu­ri­täts­arbeit von Lena Salzmann: «Günstig ein­kaufen – gesund essen»

Kochbuch für So­zi­al­hil­fe­emp­fänger – ge­sunde und gün­stige Rezeptvorschläge 

Unknown
Lena Salzmann hat die Kan­tons­schule Enge im Sommer 2020 ab­ge­schlossen. Da sie sehr gerne kocht, hat sie sich in ihrer Ma­tu­ri­täts­arbeit die Frage ge­stellt «Wie kann sich ein*e Sozialhilfeempfänger*in gesund er­nähren?», und als Er­gebnis ein kleines Kochbuch er­stellt. Sie hat sich dabei auf das So­zi­al­hil­fe­budget be­schränkt, da die So­zi­al­hilfe das tiefste Ein­kommen in der Schweiz dar­stellt und viele Men­schen sich davon er­nähren müssen.
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2 Kommentare zu „Ge­sunde Er­nährung trotz Sozialhilfe“

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